Es war einer der letzten verlässlich schönen Tage im ausklingenden Jahr 2009. Ich hatte die Woche ohnehin schon mit dem Sportprogramm gegeizt, mein schlechtes Gewissen trieb mich nach draußen, meinen Bruder und unsere zwei MTB-Drahtesel im Schlepptau. Die Tagestour sollte uns zuerst mit der Bahn nach Wesel bringen, von dort aus mit Muskelkraft zurück ins rechtsrheinische Köln in den Heimathafen.
Es war mit Sicherheit einer der anstrengendsten, aber auch einer der schönsten Fahrradtouren, die ich je an einem Tag heruntergerissen habe. Morgens um 6.34 Uhr ging es mit dem Regionalexpress einmal komplett durchs Rheinland und Ruhrgebiet bis nach Emmerich, von dort aus dann mit dem Rad direkt über die Grenze bis nach Workum ans Ijsselmeer auf den Campingplatz It Soal. Insgesamt 185 Kilometer hatte die Tour und gehört zu den Highlights meiner bisherigen Radlergeschichte. Warum, ist schwer zu benennen. Große Sehenswürdigkeiten hatte ich nicht auf meiner Tour, aber der Tag, die Leute und das ganze Ambiente waren einfach unfassbar freundlich.
Morgen geht es von Emmerich in Nordrhein-Westfalen an der Grenze zu den Niederlanden nach Workum am Ijsselmeer. Die Strecke hat ungefähr nach meiner bisherigen Planung 180 Kilometer und kaum Steigung, bis auf einen kleinen Berg oder Hügel, der mit runf 50 Höhenmetern einmal im Weg steht. Das Wetter soll ideal werden, leicht sonnig ohne Regen. Momentan stellt sich für mich nur eine quälende Frage: Welches Fahrrad nehme ich? Eigentlich hatte ich vor, mein Rennrad für den Trip zu nehmen, aber irgendwie fühle ich mich zurzeit auf dem MTB einfach heimischer und besser gerüstet für alles, was mich erwartet.
Mit strammen Tritten in die Pedale geht es Richtung Deich, keiner kann uns mehr aufhalten. So fühlt man sich, wenn man in Emden startet, um die letzten 40 bis 50 Kilometer Radweg Richtung Norddeich zu bezwingen. Mit jeder Kurbelumdrehung meint man, das Meer ein wenig besser riechen zu können. Die Blicke auf das Navigationsgerät werden häufiger, man wünscht sich, dass die Zahl für die restlichen Kilometer schneller schrumpft. Schmerzhaft – vor allem am Hinterteil – stellt man fest, dass die Tages-Tour eigentlich noch ganz schön lang ist und nur in Relation zu den letzten Tagen so harmlos anmutet. Was soll es, wir sind gleich da, irgendwann.
Das war mir eigentlich nach den Erfahrungen der letzten Tage klar, es hat sogar länger gedauert, als ich dachte. Auf der Fahrt von Lingen (Ems) nach Emden dauerte es genau bis Meppen, bis die Tour, die uns am Dortmund-Ems-Kanal entlangführen sollte, jäh durch eine Baustelle unterbrochen wurde. Mit Klickpedalen sein Rad halblegal an einer Baustelle vorbei zu tragen, macht einfach keinen Spaß. Das geniale Wetter sollte uns aber dafür entschädigen. Doch spätestens weit hinter der ersten Zivilisation war dann akut Schluss. Unsere Tour – bis dahin zugegeben wirklich schön gelegen, vorbei an saftigen Wiesen und fast auf Augenhöhe mit dem Kanal – wurde von einem kleinen Hafenbecken unterbrochen. Die Hafenanlage selbst wiederum war allerdings hermetisch abgeriegelt, so dass eine Umfahrt des Hafens notwendig sein sollte. Dies war der Augenblick, an dem wir uns entschieden, die heutige Tour etwas freizügiger auszulegen.
Wie viele Kilometer wir heute eigentlich genau abgerissen haben, weiß ich noch nicht, das wird erst die Auswertung der GPS-Daten zeigen. Eines allerdings ist schon jetzt klar: Wäre der Fahrradweg besser, hätten wir uns einige Umwege sparen können.
Es ist schon erstaunlich. Hält man sich genau an die Route, die man sich für 7,10 Euro über das Tourenportal des ADFC kaufen kann, erlebt man die abenteuerlichsten Gegensätze. Zum einen führt die Route über einen Trampelpfad, der selbst diesen Namen kaum verdient, über grüne und damit auch sehr schöne Wiesen, aber selbstverständlich ist das nicht für ein durchschnittliches Trekkingrad mit Satteltaschen geeignet. Wir fahren Rucksäcke und Moutainbikes, das hat uns wohl gerettet. Dann wiederum gelangt man auf asphaltierte Feldwege, die selbst der neu gebauten A3 zwischen Dreieck Heumar und Kreuz Köln-Öst Konkurrenz machen, täglich vielleicht zehn Autos sehen, aber zusätzlich noch einen ausgebauten Fahrradweg mitführen.
Ja, das war der erste Tag auf der Tour von Köln nach Norddeich. Gekommen sind wir bis Waltrop, wie geplant. Nicht geplant waren allerdings die beinahe gefrorenen Zehen, die Unmengen an Wasser, die vom Himmel kamen und die Straßen in Bäche verwandelten. Nein, geplant waren auch nicht die Seen in meinen Schuhen, die vollkommen durchnässten Socken. Aber der Dortmund-Ems-Kanal ist erreicht! Die Übernachtung in Waltrop steht bevor, und wir wollen einfach nur schlafen. Morgen brechen wir extrem früh auf, denn wir wollen Lingen erreichen. Sollte es morgen genauso regnen wie heute, werden wir einen Teil der Tour mit der Bahn fahren müssen. Wollen wir hoffen, dass wir diesmal verschont bleiben.
Wie bereits grundsätzlich angeplant, geht es am Freitag, den 24. Juli 2009, nun konkret endlich los. Auch wenn das Wetter nicht allzu große Versprechungen auf eine komplett “trockene” Tour abgibt, so ist doch zu erwarten, das der Regen sich auf vereinzelte Wärmegewitter bündelt, die man einfach im trockenen abwarten kann. Die Rucksäcke sind bereits gepackt, die letzten Vorbereitungen laufen.
Dieses Jahr hatte ich mir fest vorgenommen, meine jährliche Fahrradtour in meiner Heimatstadt Köln zu starten und Berlin zu erobern. Bei der Recherche nach dem richtigen Weg schwebte mir vor, erst den Rhein bis nach Duisburg zu radeln, danach über den Dortmund-Ems-Kanal bis zur “Mündung” des Mittellandkanals und dann gen Osten zu fahren, immer am Kanal entlang. Das restliche Stück bis Berlin wäre dann an Seen vorbei durch die Ebene gegangen, so hätte ich die gesamte Tour relativ flach halten und ein entsprechendes durchschnittliches Tagespensum zurückliegen können. Doch jetzt kommt alles anders. Meine Recherche nach Übernachtungsmöglichkeiten und anderen Details brachten mich darauf, etwas mehr über den Dortmund-Ems-Kanal zu recherchieren. Was soll ich sagen? Mein Ziel hat sich geändert: Nordsee, ich komme!